Josef Lükewille

Josef Lükewille

Josef Lükewille

Lebensdaten und Dienstzeit
geboren 1893 in Senne II (jetzt Sennestadt), gestorben 1952 in Kaunitz
Bürgermeister/Amtsbürgermeister von 1932 bis 1945

Lebensweg[1]
Josef Lükewille wurde am 30. Juni 1893 in Senne II (jetzt Sennestadt) geboren. Seine Ausbildung bei der Amtsverwaltung Brackwede, die am 1. April 1913 begann, unterbrach vom 4. August 1914 bis zum 13. Januar 1919 der Kriegsdienst, den er als Leutnant der Reserve beendete. Von Brackwede wechselte Josef Lükewille am 1. Januar 1921 zur Stadtverwaltung Duisburg. Dort arbeitete er zuletzt als Stadtobersekretär. Nachdem die Amtsvertretung Verl ihn am 29. April 1932 zunächst zum kommissarischen Bürgermeister gewählt hatte, bestätigte sie am 30. August 1932 Josef Lükewilles Wahl zum Bürgermeister. Ab 1934 lautete sein Titel „Amtsbürgermeister“.
Vom 28. August 1939 an war Josef Lükewille erneut Soldat, bis mehrere Freistellungsanträge seines ehrenamtlichen Stellvertreters seine Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst am 7. November 1941 und seine Rückkehr als Amtsbürgermeister bewirkten. Am 7. Juli 1945 interniert, wurde Josef Lükewille am 14. Oktober 1946 aus der Lagerhaft entlassen und zum 1. Mai 1947 in den Ruhestand versetzt – zunächst mit vollen Bezügen, die später jedoch auf 50% reduziert wurden. Nach einer erneuten Überprüfung gestand ihm der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss in Detmold im November 1949 schließlich 80% seines Pensionsanspruchs zu.
Josef Lükewille starb am 28. März 1952 in Kaunitz.

Seine Amtszeit …
In der Sitzung der Amtsvertretung am 17. Mai 1932 führte Landrat Edwin Klein Josef Lükewille als kommissarischen Bürgermeister des Amtes Verl ein. Die Amtsvertreter hatten den Stadtobersekretär der Stadtverwaltung Duisburg am 29. April 1932 aus den Bewerbern für die Stelle ausgewählt. Am 30. August 1932 wählte die Amtsvertretung Josef Lükewille einstimmig zum Bürgermeister des Amtes Verl. Er stand nun dauerhaft an der Spitze sowohl der Amtsverwaltung als auch der Amts- und Gemeindevertretungen. Am 1. Mai 1933 trat Josef Lükewille in die NSDAP ein. Seit dem Inkrafttreten der Preußischen Amtsordnung vom 8. Oktober 1934 führte er den Titel „Amtsbürgermeister“. Der nationalsozialistische Staat gestaltete die Stelle „im Sinne des Führerprinzips aus“[2], d.h. die Gemeinde- und Amtsvertretungen verloren dem Amtsbürgermeister gegenüber jeglichen Einfluss. Aber auch der Amtsbürgermeister büßte an Gestaltungsmöglichkeiten ein, sank doch „die Kommunalverwaltung zur mittelbaren Staatsverwaltung herab, der Aufsichtsbehörde standen fortab erhebliche Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten zu Gebote.“[3]
Drei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, am 28. August 1939, zog die Wehrmacht Josef Lükewille ein. Mehrere dringende Freistellungsanträge seines ehrenamtlichen Stellvertreters, des Ortsbauernführers und NSDAP-Mitglieds Hermann Pähler vor der Holte genannt Brand, bewirkten schließlich seine Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst, den er im November 1941 als Hauptmann der Reserve verließ. Josef Lükewille blieb Amtsbürgermeister über das Kriegsende hinaus, denn die Entstehung des großen Lagers für Displaced Persons[4] in Kaunitz im Frühjahr 1945 brachte so „schwierige Verhältnisse“ mit sich[5], dass sie sein ehrenamtlicher Stellvertreter nicht bewältigen konnte.
In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1945 internierte ihn die britische Militärregierung schließlich doch – wie alle nationalsozialistischen Bürgermeister und Beamte. Dies war Bestandteil der alliierten Politik zur Entnazifizierung, die Deutschland von allen Einflüssen des Nationalsozialismus befreien sollte. Am 14. Oktober 1946 aus der Internierung entlassen, reichte Josef Lükewille bereits am 8. November 1946 „seine politischen Fragebogen“ ein, „mit der Bitte, zum Zwecke der Pensionierung seine Entnazifizierung und Kategorisierung vorzunehmen.“[6] Als Grund für die gewünschte Frühpensionierung im Alter von nur 53 Jahren nannte er eine Herzschwäche.[7] Der Entnazifizierungsausschuss in Wiedenbrück hielt ihn zunächst für „politisch tragbar“. Dies entsprach der „Kategorie V-Entlastete“ der fünfstufigen Gliederung in „I-Hauptschuldige“, „II-Belastete“, „III-Minderbelastete“, „IV-Mitläufer“ und „V-Entlastete“.[8] Die Amtsverwaltung Verl versetzte Josef Lükewille zum 1. Mai 1947 mit voller Pension in den Ruhestand.
Doch dann erhielt der Entnazifizierungsausschuss in Wiedenbrück Material, das Josef Lükewille belastete. Wer den Ausschuss darauf aufmerksam machte, ist unklar. Die von ihm als Amtsbürgermeister unterzeichneten „Lageberichte[9] und sonstigen Meldungen“ zeigten nach Ansicht des Ausschusses, dass Josef Lükewille „doch eine stark pro-nationalsozialistische Einstellung während der Nazi-Zeit hatte“[10]. Deshalb hob der Ausschuss in seiner Sitzung am 16. Juli 1948 die Einstufung in die „Kategorie V“ auf und setzte den Pensionsanspruch um 50% herab. Diese Herabsetzung entsprach einer Einordnung in die „Kategorie III-Belastete“. Auch wenn Pensionäre nicht mehr im eigentlichen Sinn kategorisiert wurden, da sie kein aktives Amt mehr ausübten, wurden dennoch ihre Pensionsansprüche bemessen. Josef Lükewille legte Berufung gegen die Herabsetzung seiner Bezüge ein und bekam daraufhin bis zu einer erneuten Beurteilung weiter seine volle Pension. Nach zwei Sitzungen am 7. und 14. November 1949 gestand ihm der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss in Detmold 80 % seines Pensionsanspruchs zu. Zwar waren die Mitglieder des Ausschusses nach Lage der Akten überzeugt, dass Josef Lükewille ein „Belasteter“ war, doch glaubten sie, „den vielen für Lükewille sehr günstigen Zeugenaussagen Rechnung tragen“[11] zu müssen und reduzierten seinen Pensionsanspruch daher lediglich um ein Fünftel.

… und ein Versuch einer politischen Einordnung
Weniger seine rein äußerliche politische Belastung als Mitglied der NSDAP und des SA-Reiterkorps, sondern die von ihm als Amtsbürgermeister unterzeichneten Lageberichte an den Landrat und weitere Meldungen belegen die nationalsozialistische Gesinnung Josef Lükewilles. Sie zeigen ihn vor allem als Gegner der katholischen Geistlichkeit und als Antisemit.
So denunzierte er die katholischen Geistlichen als „staatsfeindlich“[12] und setzte sie mit der Nennung ihrer Namen der Gefahr der Verhaftung durch die Gestapo aus. Die katholischen Vereine empfahl er aufzulösen, weil sie das Ziel hätten, „konfessionell und nicht deutsch denkende Arbeiter heranzubilden“[13]. Josef Lükewille diffamierte Mitglieder der jüdischen Familie Hope und forderte, wer nach der Pogromnacht am 9. November 1938 Mitleid mit Juden zeige, müsse verhaftet werden. Dies sollte der Bevölkerung erzieherisch „als Warnung“ dienen.[14] Seine Haltung spricht dafür, dass Josef Lükewille die Deportation des Landwirts Ferdinand Wester-Ebbinghaus als jüdischen „Mischling ersten Grades“ einzig aus wirtschaftlichen Beweggründen verhinderte. Er stellte fest, dass durch „den Abtransport des Westerebbinghaus für die Bewirtschaftung des großen Hofes Schwierigkeiten entstehen“ würden[15]. Dass der Hof weiterhin erfolgreich arbeiten konnte, war kriegswichtig. Ferdinand Wester-Ebbinghaus selbst erinnerte sich später: „Nur dem Umstand, daß ich es verstand, aus meinem Gutshof die größten landwirtschaftlichen Erträgnisse der Gemeinde heraus zu wirtschaften, verdanke ich meine Rettung aus Lebensgefahr.“[16]
Obwohl er demnach Josef Lükewilles Beweggründe für die Verhinderung seiner Deportation in ein Konzentrationslager kannte, schrieb Ferdinand Wester-Ebbinghaus am 15. Juni 1946 folgende Bestätigung: „Herr Lükewille war wohl Parteigenosse, doch bei weiten nicht mit allen Maßnahmen der Nationalsozialisten einverstanden. Ich bescheinige ihm gern, daß er mich im Herbst 1944 durch sein energisches Auftreten vor einer Verhaftung, die aus rassischen Gründen erfolgen sollte, bewahrte.“[17] Eine günstige Zeugenaussage – wie diejenigen, die der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss im November 1949 zugunsten Josef Lükewilles berücksichtigte.
Nach seinem Tod 1952 bedachten die Lokalzeitungen den früheren Amtsbürgermeister mit ehrenden Nachrufen[18], obgleich sie alle 1948 über die Verhandlung gegen ihn vor dem Entnazifizierungsausschuss und die Halbierung seiner Pensionsansprüche berichtet hatten. Sogar noch über 70 Jahre nach Kriegsende äußerten Zeitzeugen, dass Josef Lükewille „eigentlich kein Nazi“ war.[19]
Der Vorsitzende des Entnazifizierungsausschusses erklärte diesen Widerspruch 1948 damit, dass Josef Lükewille ein „Doppelspiel“ betrieben hätte: Er trat „nach aussen (sic) hin anders auf, als wie er intern, d.h. seiner vorgesetzten Behörde bzw. der Partei gegenüber, handelte.“[20] Eine Zeitung berichtete aus dem Verhandlungssaal: „Der ehemalige NS-Amtsbürgermeister von Verl, Josef Lückewille (sic), erfreute sich großer Beliebtheit bei der Einwohnerschaft. Immer freundlich, höflich und korrekt, unterließ er es nicht, Lage- und Sonderberichte – in diesen Berichten fehlten selbstverständlich die Namen vieler Verler Einwohner nicht – an die Gestapo weiterzuleiten. (…) Vor dem Entnazifizierungsauschuß berief er sich natürlich auf seine ‚Pflicht‘; er mußte aber zugeben, in seinen Berichten weit darüber hinausgegangen zu sein.“[21] Josef Lükewille hatte sich weit mehr im Sinne des Nationalsozialismus engagiert, als für seine Amtsführung notwendig gewesen war.

Quellen
Stadtarchiv (StA) Verl, F 288, Personalakte Josef Lükewille
Stadtarchiv Verl, D 1354, Lageberichte 1934-1939
Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen (LAV OWL), M 1 I E, Nr. 3399, Amtmann- bzw. Bürgermeisterstelle des Amtes Verl, 1898-1945
Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, NW 1037-BV 3471, Entnazifizierung Josef Lükewille, 1948/49

Literatur
Volker Schockenhoff, „Unser liebes, gutes Verl hat alle Anziehungskraft für mich verloren.“ Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Verler Juden in der NS-Zeit, Verl 1994 (Heimatkundliche Schriftenreihe Heft 4, Heimatverein Verl)


[1] Die Darstellung des Lebensweges folgt der Personalakte Stadtarchiv (StA) Verl, F 288.

[2] Hans-Walter Schmuhl, Die Stadt unter dem Hakenkreuz, in: Geschichte der Stadt Gütersloh, Bielefeld 2001, S. 403-447, hier S. 417/418.

[3] Ebenda.

[4] Bei Kriegsende 1945 befanden sich etwa 6,5 bis 7 Millionen Zivilistinnen und Zivilisten aus anderen Ländern auf dem Gebiet des Deutschen Reiches, zumeist ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und befreite KZ-Häftlinge. Diese Menschen wurden von den Alliierten in sogenannten „DP-Camps“ („Displaced Persons Camps“, zu Deutsch etwa „Lager für Heimatlose“) untergebracht, um in der Folgezeit in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden. In Kaunitz handelte es sich anfangs um 830 Zwangsarbeiterinnen, die auf ihrem Marsch von Lippstadt, wo sie in der Rüstungsindustrie eingesetzt gewesen waren, ins KZ Bergen-Belsen, wo sie getötet werden sollten, am 1. April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit worden waren. Seit dem 50. Jahrestag der Befreiung steht an deren Ort in der Straße Zum Sennebach eine entsprechende Gedenktafel.

[5] Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen (LAV OWL), M 1 I E 3399.

[6] Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, NW 1037-BV 3471 (Entnazifizierung Josef Lükewille).

[7] StA Verl, F 288.

[8] Die Entnazifizierungsausschüsse behandelten die „leichten Fälle“ der Kategorien III, IV und V.

[9] Überliefert in StA Verl, D 1354.

[10] Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, NW 1037-BV 3471 (Entnazifizierung Josef Lükewille).

[11] StA Verl, F 288.

[12] StA Verl, D 1354.

[13] StA Verl, D 1354 – Martin Pollklas weist darauf in seiner Veröffentlichung „Der Kreis Wiedenbrück 1933-1936 in geheimen Lageberichten des Landrates“, Bielefeld 2002 (Veröffentlichungen aus dem Kreisarchiv Gütersloh 6), auf S. 98 hin. Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 schützte die katholischen Vereine zunächst vor einem Verbot.

[14] Kreisarchiv Gütersloh, LRWD, Fach 34, Nr. 18 I/2 – zitiert nach Volker Schockenhoff, „Unser liebes, gutes Verl hat alle Anziehungskraft für mich verloren.“ Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Verler Juden in der NS-Zeit, Verl 1994 (Heimatkundliche Schriftenreihe Heft 4, Heimatverein Verl), S. 39.

[15] Stadtarchiv Verl, D 1349, sogenannte Judenakte, 1933-1964.

[16] Ferdinand Wester-Ebbinghaus, Politisches Führungszeugnis für Clemens Repohl, 12. Dezember 1946, Kopie aus einer Sammlung von Prof. Dr. Volker Schockenhoff, Fachhochschule Potsdam (inzwischen im Stadtarchiv (StA) Verl in der Sammlung „Kleine Erwerbungen“ (Kler) 62).

[17] Ferdinand Wester-Ebbinghaus, Bestätigung für Josef Lükewille, 15. Juni 1946, Kopie aus einer Sammlung von Prof. Dr. Volker Schockenhoff, Fachhochschule Potsdam (StA Verl, Kler 62).

[18] „Von 1932 bis zum Umsturz im Jahre 1945 hat er tatkräftig die Geschicke des großen Amtes Verl geleitet.“ (Westfalen-Zeitung, 31. März 1952) „Er war ein Verwaltungsfachmann von Format und hat die schweren Aufgaben der 30er Jahre zum Wohle seines Amtes meisterhaft gelöst.“ (Die Glocke, 2. April 1952) „Während seiner langen Tätigkeit hat er sich mit seltener Energie für die Belange des Amtes und seiner Gemeinden eingesetzt.“ (Freie Presse, 2. April 1952)

[19] Dr. Katja Kosubek, Bewahren der Erinnerung. Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in Verl und Umgebung. Ein Zeitzeugenprojekt der Stadt Verl in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Verl (2017-2019). Die schriftlichen Zusammenfassungen der Zeitzeugengespräche und die Tondokumente befinden sich im Stadtarchiv Verl.

[20] Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, NW 1037-BV 3471.

[21] StA Verl, F 288, Freie Presse, 28. Juli 1948.